Israels Regierung vor UN-Generaldebatte zunehmend isoliert
Veröffentlicht: Dienstag, 23.09.2025 05:24

Lage im Überblick
New York (dpa) - Immer mehr westliche Partner wenden sich wegen der aggressiven Kriegsführung im Gazastreifen von der Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ab. Nach Großbritannien und Kanada erkannte am Montag unter anderem auch Frankreich Palästina als Staat an. «Es ist an der Zeit, dem palästinensischen Volk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und den Staat Palästina anzuerkennen», sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einer hochrangig besetzten Konferenz zur Zweistaatenlösung - also dem Nebeneinander Israels und eines palästinensischen Staates. Bei der heutigen UN-Generaldebatte mit mehr als 140 Staats- und Regierungschefs in New York spricht zum Auftakt US-Präsident Donald Trump.
In den vergangenen Tagen hatten unter anderem auch Australien, Portugal, Belgien, Malta, Luxemburg und das Fürstentum Monaco einen Palästinenser-Staat offiziell anerkannt. Sie schlossen sich damit mehr als 150 der 193 UN-Mitgliedstaaten an. Die Bundesregierung will dem Kurs wichtiger europäischer Partner zum jetzigen Zeitpunkt nicht folgen, obwohl sie seit langem vehement für eine Zweistaatenlösung plädiert. Israel und sein enger Verbündeter USA boykottierten das Treffen in New York.
Israel international weiter isoliert
Die Anerkennung Palästinas hat zwar vor allem symbolischen Charakter, markiert aber eine klare Positionsänderung im Nahostkonflikt und isoliert Israel auf internationaler Bühne weiter. Frankreich und Saudi-Arabien wollten mit der Konferenz die Zweistaatenlösung als diplomatische Perspektive erhalten und den Druck auf den jüdischen Staat erhöhen, um ein Ende des Kriegs gegen die islamistische Palästinenserorganisation Hamas zu erwirken. Zugleich wächst die Sorge, dass Israels Regierung die Lage weiter eskalieren lassen könnte.
«Da sich immer mehr westliche Staaten der Mehrheit der Welt anschließen und den Staat Palästina anerkennen, muss klar sein: Die Anerkennung erhöht die Verpflichtung, die Rechte Palästinas aktiv zu respektieren: Nichteinmischung, territoriale Integrität, Selbstverteidigung gegen illegale Besatzung, Beendigung des Völkermords», schrieb die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese auf der Nachrichtenplattform X.
Israels Kriegsführung in Gaza tötet Zehntausende Zivilisten
Nach dem beispiellosen Terrorangriff der Hamas und anderer islamistischer Terroristen auf Israel am 7. Oktober 2023 mit etwa 1.200 Toten begann die israelische Armee den Gaza-Krieg. Mit dem Einmarsch in das Küstengebiet, desaströsen Bombardements und wachsenden Opferzahlen - es wird von Zehntausenden getöteten Zivilisten ausgegangen - wurde die Kritik an der israelischen Kriegsführung immer lauter. Die Hamas wiederum hält nach israelischen Schätzungen noch immer 20 Geiseln aus Israel in ihrer Gewalt und verweigert die Überstellung der sterblichen Überreste von knapp 30 weiteren Verschleppten.
Macron bezeichnete das Oktober-Massaker als «offene Wunde», dem jedoch Hunderttausende Menschen in Gaza gegenüberstünden, die vertrieben, verletzt, ausgehungert und traumatisiert worden seien. Ihr Leben werde weiterhin zerstört, obwohl die Hamas erheblich geschwächt sei. «Nichts rechtfertigt den anhaltenden Krieg in Gaza. Nichts», sagte der französische Präsident. Manchen Kritikern möge die Anerkennung Palästinas zu spät kommen, anderen zu früh. «Doch eines ist sicher: Wir können nicht länger warten.»
Abbas feiert «Tag des Staates Palästina»
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas plädierte für einen Neustart in den Bemühungen um Frieden in Nahost. Zweifellos sei es der «Tag des Staates Palästina» und der Beginn eines Friedensprozesses im Nahen Osten, sagte er in einer Videobotschaft, nachdem ihm die US-Regierung das für die Einreise nötige Visum verweigert hatte. Abbas forderte Israel zu Friedensverhandlungen auf und sagte, die Hamas dürfe keine Rolle in Nahost mehr spielen.
UN-Generalsekretär António Guterres kritisierte die Trump-Regierung indirekt dafür, palästinensischen Vertretern die Einreise verwehrt zu haben. Gleichzeitig lobte er den Schritt der Staatengruppe um Frankreich: «Die Eigenstaatlichkeit ist für die Palästinenser ein Recht, keine Belohnung», sagte der Portugiese. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, der einzige realistische Friedensplan basiere auf zwei Staaten.
Baerbock: Das Böse könnte sich durchzusetzen
Die frühere deutsche Außenministerin Annalena Baerbock warnte in ihrer neuen Rolle als Vorsitzende der UN-Vollversammlung, das Ziel der Zweistaatenlösung dürfe nicht aufgegeben werden: «Wenn wir aufhören, das anzuvisieren, was richtig ist, weil wir es noch nicht erreicht haben, dann wird sich das Böse durchsetzen. Das wäre das Ende dieser Institution.»
Kanadas Premierminister Mark Carney sagte, eine Anerkennung sei kein Allheilmittel, betonte aber auch: «Die derzeitige israelische Regierung arbeitet systematisch daran, die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern.»
Bundesregierung mit Drahtseilakt
Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) kritisierte das israelische Vorgehen im Gazastreifen während seines Besuchs in New York scharf. «In ganz Gaza erleben die Menschen eine Hölle auf Erden», sagte er. Mit Blick auf die Siedlungspolitik Israels im Westjordanland betonte er zuvor vor Journalisten: «Jegliche Schritte zu einer völkerrechtswidrigen Annexion von besetzten Gebieten untergraben zudem die Chance, den Konflikt nachhaltig zu lösen.»
Für Deutschland stehe die Anerkennung eines palästinensischen Staates zwar eher am Ende eines Prozesses hin zu einer solchen Lösung. «Aber dieser Prozess muss jetzt beginnen», verlangte Wadephul. Für Kanzler Friedrich Merz (CDU), der im Gegensatz zu vielen anderen Staats- und Regierungschefs nicht nach New York reiste, ist die Krise im Nahen Osten ein Drahtseilakt zwischen Solidarität mit Israel, dem Druck der europäischen Verbündeten und den - keinesfalls homogenen - Erwartungen der deutschen Bevölkerung.
Die Positionierung mehrerer wichtiger Staaten aus dem Westen, die traditionell zu Israels engsten Partnern zählen, wiegt besonders schwer. Sie wollen mit der Anerkennung eine Zweistaatenlösung vorantreiben, die sie durch Israels Siedlungsausbau im Westjordanland, Annexionspläne und die Schwächung der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah gefährdet sehen. Für die Palästinenser bedeutet der Schritt zusätzliche Legitimität im Streben nach einem eigenen Staat.
Wie reagieren Netanjahu und Trump?
Diplomaten befürchten, dass die Reaktionen von US-Präsident Trump und Israels Regierungschef Netanjahu harsch ausfallen könnte. Trump wird bereits am ersten Tag der UN-Generaldebatte das Wort ergreifen und dürfte die jüngsten Entwicklungen als engster Verbündeter Israels als Affront betrachten. Netanjahu verurteilt die Anerkennung eines Palästinenserstaats als «enorme Belohnung» für den Hamas-Terror. Er will am Freitag vor der UN-Vollversammlung sprechen - und einige befürchten, dass er dabei die Annexion von Palästinensergebieten ankündigen könnte.
Der Nahostkonflikt reicht über ein Jahrhundert zurück: Nach dem Ersten Weltkrieg stand Palästina unter britischer Verwaltung, Juden wurde damals eine «nationale Heimstätte» versprochen und Arabern Unterstützung – ein Nährboden für Spannungen. Nach dem Holocaust beschlossen die UN 1947 die Teilung in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Während die Araber dies ablehnten, riefen die Juden 1948 den Staat Israel aus.
Der folgende Krieg endete mit Israels Sieg und der Flucht von mehr als 700.000 Palästinensern («Nakba»), Hunderttausende weitere flohen 1967 im Sechstagekrieg («Naksa»). Zwar brachte der Friedensprozess der 1990er Jahre Hoffnung. Doch ungelöste Kernfragen wie Grenzverläufe, die Aufteilung von Jerusalem, der Umgang mit Flüchtlingen und Siedlungen sowie Gewalt von Extremisten und die Spaltung der Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah verhinderten einen palästinensischen Staat.